Zeit zum Nachdenken und Erneuern
 

Zeit zum Nachdenken und Erneuern  

Interview mit Joan Mecsas über ihr Sabbatical am MPIIB

12. Juli 2019
Welche Forscherin, welcher Forscher hat nicht schon einmal darüber nachgedacht, den Pausenknopf im Leben zu drücken – die Gedanken auf die Forschung zu konzentrieren, die wissenschaftlichen Ziele zu überdenken und Ruhe vom Tagesgeschäft bekommen? Joan Mecsas von der Tufts University Boston hat genau das getan. In ihrem Sabbatical verbringt sie zurzeit ein halbes Jahr in der Forschungsgruppe Zelluläre Mikrobiologie von Arturo Zychlinsky am MPIIB. Dort will sie neue Forschungsansätze kennenlernen und Ideen entwickeln. Im Interview erzählt sie von ihren ersten Monaten an unserem Institut, wie ihre Forschung von einem Sabbatical profitiert und welche Herausforderungen damit verbunden waren, ihr eigenes Labor für ein halbes Jahr zu verlassen.

Frau Mecsas, Sie sind bereits seit einigen Monaten in Berlin. Wie war Ihre Zeit am Institut?

Bislang war es großartig! Ich habe eine Menge von Arturos Arbeitsgruppe gelernt. Für mich ist ihre Herangehensweise bei der Erforschung von Neutrophilen besonders spannend. Ich interessiere mich für die gleiche Zelle, nähere mich aber aus einem anderen Blickwinkel. Sich hier intellektuell auszutauschen und die Perspektive zu wechseln, macht wirklich Spaß. 

Gleichzeitig bin ich sehr produktiv: ich habe, seit ich in Berlin angekommen bin, schon drei Paper fertigstellt, die von Journalen akzeptiert wurden. Das war richtig exzessives Schreiben – vor allem dank der harten Arbeit meiner Doktoranden und Doktorandinnen in Boston! Und es folgen sogar noch weitere Paper in diesem Sommer.

Warum haben Sie sich für ein Sabbatical entschieden?

In meinem Labor in Boston arbeiten wir an zwei pathogenen Bakterien: Klebsiella und Yersinia. Vor ungefähr fünf oder sechs Jahren haben wir festgestellt, dass Yersinia eine sehr enge Verbindung zu Neutrophilen hat und mit den Zellen stark interagiert – unser Labor hatte aber nur sehr wenig Expertise in der Arbeit mit Neutrophilen. Also habe ich mich an Arturo und seine Mitarbeiterin Bärbel Raupach gewandt, die ich beide seit den 90er Jahren kenne. Ich habe gefragt, ob es möglich wäre, einige Monate im Rahmen eines Sabbaticals am Institut zu verbringen, um mehr über Neutrophile zu lernen. Ich wollte unserer Forschung einen neuen Antrieb geben – und sie haben zugesagt!

Joan Mecsas

Dr. Joan Mecsas ist Professorin für Molekular- und Mikrobiologie an der Tufts University School of Medicine im US-amerikanischen Boston. Mit ihrer Forschungsarbeit möchte sie herausfinden, wie bakterielle Krankheitserreger die Verteidigungssysteme von Wirten manipulieren, um Infektionen zu auszulösen. Fokus von Mecsas’ Forschungsgruppe sind die Interaktionen zwischen bakteriellen Pathogenen, Schleimhautoberflächen des Wirts und der angeborenen Immunantwort. Die Wissenschaftlerin untersucht, wie die gramnegativen Bakterien der Gattungen Yersinia und Klebsiella mit Neutrophilen und Monocyten in Lungen- und anderem Gewebe interagieren. Bei uns am Institut wird sie sich der Frage widmen, wie Klebsiella bzw. Yersinia Neutrophile inaktivieren und insbesondere, wie NETs (Neutrophil Extracellular Traps) von diesen Pathogenen ausgelöst bzw. blockiert werden.

Dennoch klingt das nach einem großen Schritt – wie lief Ihr Entscheidungsprozess?

Wenn es nur nach meiner Forschung ginge, wäre ich bereits vor vier Jahren gekommen. Für meine Familie war es aber nicht der richtige Zeitpunkt, um für sechs Monate oder sogar ein ganzes Jahr nach Deutschland zu gehen. Meine Tochter war damals noch 15 und hat sich an ihrer Schule sehr wohl gefühlt. Es wäre einfach Unsinn gewesen, sie von der High-School zu nehmen. Inzwischen hat sie die Schule abgeschlossen und ist auf dem College. Für uns kam dann der richtige Zeitpunkt für das Sabbatical.

Wie war es für ganze sechs Monate in ein anderes Land zu ziehen?

Die Logistik hinter dem Umzug war nicht einfach. Am schwierigsten war es aber, unsere ganzen Freunde und Verwandten für sechs Monate zurückzulassen. Wir haben uns auch für Notfälle vorbereitet – im Zweifelsfall dauert es ja mehr als 24 Stunden um wieder nach Hause zu kommen. Um sicherzugehen habe wir einige Backup-Pläne gemacht. Aber es gibt ja auch WhatsApp und Skype. Ich bin trotz der Distanz in engem Kontakt mit meinen Freunden, Verwandten und Kollegen.

Sie leiten in Boston eine Forschungsgruppe – können Sie Ihr Labor von Berlin aus betreuen?

Ich leite weiterhin mein Labor – wir haben wöchentliche Gruppentreffen über Skype, dazu kommen Einzelgespräche. Ich sehe meine Labormitglieder also die ganze Zeit. Zwei Jahre bevor es mit dem Sabbatical losging, habe ich versucht, das ganze Labor auf elektronische Laborbücher umzustellen. Ich kann mir jetzt Daten jederzeit ansehen und mit meinem Team Experimente und Ergebnisse direkt besprechen. Das Letzte was ich wollte war, dass irgendjemand das Gefühl hat, von mir im Stich gelassen zu werden.

Ein einfacher aber praktischer Vorteil war mir aber bis zu meiner Ankunft gar nicht bewusst: Deutschland liegt sechs Zeitzonen vor Boston. Ich bekomme bis nachmittags keine Arbeits-E-Mails und kann in Ruhe von acht bis drei arbeiten. Das ist ein echter Gewinn!

Würden Sie ein Sabbatical nach Ihren bisherigen Erfahrungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterempfehlen?

Auf jeden Fall! Im Forscheralltag kann es passieren, dass man sehr viel Zeit für die Betreuung von Studierenden, Meetings und Verwaltungsaufgaben aufwenden muss. Ich schätze diese Arbeit sehr, aber es tut auch gut, eine Zeit lang Abstand zu gewinnen und sozusagen auf den Pausenknopf zu drücken. Es ist wirklich fabelhaft, dass ich mich auf meine Wissenschaft konzentrieren kann. Ich kann jetzt mit freiem Kopf entscheiden, wo es in den nächsten fünf oder zehn Jahren hingehen soll. Der Hauptzweck des Sabbaticals ist es wohl, Zeit zu haben ¬– zum Nachdenken und zur Erneuerung.

 

Das Interview führte Christian Denkhaus

 

 

 

 

 

 

 

Zur Redakteursansicht