Selbstheilungskräfte im Darm: selbst vollständig differenzierte Zellen können wieder zu Stammzellen werden

8. Oktober 2019
Das Epithel des Darms stellt die Barriere zwischen dem Organismus und der Umgebung dar und ist somit verschiedenen schädigenden Einflüssen ausgesetzt. Eine schwere Schädigung, z.B. durch eine bakterielle Infektion oder toxische Substanzen, kann jedoch die Epithelfunktion einschränken. Während sich viele Patienten schnell erholen, nimmt die Erkrankung bei manchen einen chronischen oder gar tödlichen Verlauf. Es ist daher wichtig zu verstehen, durch welchen Mechanismus ein geschädigtes Epithel normalerweise repariert wird. Ein Team aus Forschern der Charité-Universitätsmedizin in Berlin und des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie zeigte nun, dass sich das Epithel des Dickdarms selbst dann noch erholen kann, wenn alle Stammzellen und alle sich teilenden Zellen im Zuge einer Kolitis verloren gehen – und zwar indem die verbliebenen differenzierten Zellen zu Stammzellen umgewandelt werden.

Stammzellen, die in der Basis der unzähligen Krypten angesiedelt sind und ständig neue Zellen generieren, die sich auf dem Weg zur Oberfläche weiter teilen, um schließlich als volldifferenzierte Zellen an der Oberfläche anzukommen. Sobald die Zellen oben ankommen, sterben sie innerhalb von wenigen Stunden ab und werden durch Nachschub von unten ersetzt

Das Forscherteam aus Berlin fand nun in einem Mausmodell heraus, dass bei einer Kolitis die Stammzellen in den Krypten bevorzugt absterben. Diese werden dann durch sich teilende Zellen, die die Stammzellnische kurz zuvor verlassen haben, wieder ersetzt, so dass das Epithel kurz danach wieder seine normale Struktur aufweist. Bei einer schweren Kolitis sterben jedoch auch die sich noch teilenden Zellen ab – übrig bleiben dann nur noch die vollständig differenzierten Zellen an der Oberfläche – während die Krypten in sich zusammenfallen.

Dem Team gelang es nun zu zeigen, dass die differenzierten Zellen, die normalerweise nur noch eine Lebensdauer von einigen Stunden haben, in dieser kritischen Situation zu Stammzellen umprogrammiert werden, um wieder ein normales Darmepithel herzustellen. Verantwortlich für diese Umprogrammierung war der Botenstoff R-spondin, der – wie von dem Team jüngst gezeigt –von Muskelzellen unterhalb des Epithels produziert wird und die Expression von Stammzellgenen induziert. “Wir konnten so zeigen, dass selbst differenzierte Zellen immer noch Rezeptoren besitzen, die es ihnen erlauben auf R-spondin zu reagieren ” bestätigt Michael Sigal, Gastroenterologe an der Charité, der die Studie in Kollaboration mit der Abteilung für Molekulare Biologie des Max Planck Instituts für Infektionsbiologie leitete.

Dieser Mechanismus ist bei einer schweren Darmschädigung lebenswichtig. Mäuse, die genetisch verändert wurden, so dass sie kein R-spondin 3 produzierten, zeigten unter gesunden Bedingungen keine Krankheitssymptome oder Veränderungen der Darmschleimhaut. “Die Stammzellen selbst kommen also auch ohne R-spondin zurecht – andere Stammzellsignale in ihrer Umgebung sind ausreichend um das ausgleichen” ergänzt Thomas Meyer, Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Wurde jedoch eine Schädigung der Darmschleimhaut induziert, so war das für die Mäuse ohne R-spondin tödlich. Ihre verbleibenden differenzierten Zellen konnten nicht mehr zu Stammzellen umprogrammiert werden, die Zerstörung der Darmschleimhaut setzte sich somit unwiderruflich fort.

Diese Ergebnisse erklären nun, welche Prozesse im Epithel bei einer Kolitis ablaufen – und welche Mechanismen zum Wiederaufbau der Darmschleimhaut beitragen. Sie bieten Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Therapien für Patienten mit schwerwiegender Schädigung des Darms.

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