Körperzellen spionieren Krankheitserreger aus

Der Aryl-Hydrokarbon-Rezeptor erkennt, wenn die Menge an Bakterien so stark zunimmt, dass sie für den Körper gefährlich wird

20. Dezember 2019

Die Infektion mit einem Krankheitserreger führt nicht automatisch zu einer Erkrankung, denn viele Keime werden erst gefährlich, wenn sie in großer Zahl auftreten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin haben entdeckt, dass der Körper einen Rezeptor besitzt, der nicht die Bakterien als solche erkennt, sondern ihre Kommunikation ausspioniert. Auf diese Weise registriert der Körper, wenn so viele Bakterien vorhanden sind, dass sie krankmachende Stoffe absondern, sogenannte Virulenzfaktoren.

Bei den sogenannten opportunistischen Krankheitserregern in unserer Umwelt liegt die kritische Schwelle für eine Infektion besonders hoch: Erst, wenn sie in sehr hoher Zahl auftreten und oder krankmachende Substanzen Stoffe bilden, können sie den Menschen überwältigen.

Pseudomonas aeruginosa ist solch ein Keim. Jeder Mensch kommt mit ihm regelmäßig in Kontakt, denn er tritt vorwiegend in Wasserleitungen, Waschbecken und an ähnlichen Orten auf. In großer Menge können Pseudomonaden allerdings ernsthafte Krankheiten hervorrufen. Zu diesem Zweck bilden sie nun auch krankmachende Stoffe, dank derer sie im Wirt Fuß fassen und ihn schädigen können.

Gerade bei Krankenhaus-Patienten löst dieser Keim leicht Lungenentzündungen, Wundinfektionen oder eine Bakteriämie und Blutvergiftung aus. Diese Erkrankungen sind außerordentlich schwer zu behandeln, da der Erreger gegen Antibiotika hoch resistent ist.

Wie stellen die Keime fest, wann die Zeit reif zum Angriff ist? Sie sprechen sich untereinander ab und zwar über kleine Moleküle, sogenannte „Quorum Sensing-Moleküle“. Nur bei ausreichender Dichte produzieren Pseudomonaden krankmachende Substanzen und Schleimmoleküle, die sie vor Antibiotika und der körpereigenen Immunabwehr schützen. Für die Keime ist das sinnvoll, denn solange Schleim und Virulenzfaktoren nicht gebraucht werden, bedeutet ihre Produktion nur unnötigen Energieverbrauch. Dagegen rentiert sich der Energieaufwand bei einem tatsächlichen Angriff, denn nur dann können sie den Wirt erfolgreich befallen und als „Nährboden“ nutzen.

Ein Forscherteam um Stefan Kaufmann am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie hat herausgefunden, dass unsere Körperzellen die Kommunikation zwischen den Bakterien mit Hilfe des sogenannten Aryl-Hydrokarbon-Rezeptors ausspähen können. Dieser Rezeptor erkennt die Quorum Sensing-Moleküle. Dadurch registrieren Körperzellen, wie sich die Bakterien auf den Anschlag vorbereiten. „Dank der Spionage kann der Körper sein Immunsystem rechtzeitig aktivieren und so einen Angriff der Erreger abwehren“, erklärt der Erstautor der Studie, Pedro Moura-Alves, der inzwischen am Ludwig Institute for Cancer Research in Oxford forscht.

Tatsächlich belauscht der Rezeptor die Bakterien bereits, bevor sie ihr Quorum erreicht haben: Die Erkennung von frühen Stufen der Quorum Sensing Moleküle hemmt den Aryl-Hydrokarbon-Rezeptor und blockt damit eine zu frühe Mobilisierung der Immunabwehr. „Für den Wirt ist das effektiv, denn es spart Energie, wenn wenige Bakterien in Ruhe gelassen werden, solange sie keinen Schaden anrichten. Erst wenn sie eine kritische Masse erreicht haben, wird die für eine Verteidigung benötigte Energie aufgebracht“, sagt Stefan Kaufmann. Auf diese Weise werden zudem Kollateralschäden durch die Reaktion des Immunsystems weitgehend vermieden.

Unser Körper kann also nicht nur erkennen, ob Krankheitserreger anwesend sind oder nicht. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass er auch ihre Menge erfasst, und er so auf unterschiedliche Stadien einer Infektion reagieren kann.

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