„Evolution der Pathogene entschlüsseln“
Interview mit dem neuen MPIIB-Forschungsgruppenleiter Felix M. Key
Du bist im Juli 2020 aus den USA nach Berlin gezogen. Wie läuft ein transatlantischer Umzug mitten während einer Pandemie?
Zusammen mit meiner Frau und unseren drei Kindern waren wir für zwei Jahre in Boston, wo ich am MIT als Postdoc gearbeitet habe. Dort ist die Pandemie genauso eingeschlagen wie hier in Berlin. Im Gegensatz zu anderen Staaten der USA verfolgt Massachusetts aber eine ähnliche Strategie wie Deutschland: Die Politik versucht die Bevölkerung zu schützen und baut dabei auf Vernunft und Wissenschaft – dementsprechend hatten wir auch einen „sanften“ Lockdown. In dieser Zeit mussten wir unseren schon lange geplanten Umzug bewältigen. Ich glaube die zwei Monate von Juli und August waren die anstrengendsten meines Lebens: Wir hatten kaum Kinderbetreuung, zwei Vollzeitjobs und mussten nebenbei unseren ganzen Hausstand entweder auflösen oder verpacken und von den USA nach Deutschland verschiffen. Zum Glück legt sich aber langsam der Staub. Wir haben endlich so etwas wie Alltag und das fühlt sich gut an.
Jetzt bist Du hier und kannst Deine Arbeitsgruppe in Berlin aufbauen – was sind Deine ersten Schritte?
Für mich heißt es erstmal: Ankommen, reinfinden, aufbauen und etablieren – also herausfinden, wie der Hase läuft. Ich richte mein Labor ein und bereite meine Projekte vor. Zusätzlich muss ich auch noch mein Forschungsprojekt vom MIT zum Abschluss bringen – der Klassiker – aber ein Ende ist absehbar.
Gleichzeitig versuche ich meine Gruppe aufzubauen. Glücklicherweise habe ich schon eine Labormanagerin eingestellt, die bislang in der Abteilung Molekulare Biologie gearbeitet hat. Sie ist eine Riesenhilfe dabei, das Labor auf die Beine zu stellen. Außerdem habe ich bereits zwei tollen Doktoranden ein Angebot machen können, die bald anfangen werden. Wir hatten kürzlich unser erstes virtuelles Lab-Meeting – es war fantastisch! Ich bin gespannt darauf, was die Zukunft bringt.
Deine Forschungsgruppe heißt „Evolutionäre Pathogenomik“ – woran arbeitet Ihr genau?
Mich interessiert, wo Krankheitserreger herkommen und welche Rolle Veränderungen und Anpassungen bei der Infektion des Menschen spielen. Ich erforsche dies auf zwei völlig unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen: Zum einen über tausende von Jahre durch die Menschheitsgeschichte und zum anderen wie sich innerhalb von Tagen Bakterien unseres eigenen Mikrobioms verändern können und uns dadurch krank machen.
Du erforschst also sehr alte Krankheitserreger?
Das Forschungsfeld der „alten Krankheitserreger“ ist sehr jung. Erst seit einigen Jahren können wir die Entstehung von Erregern bis zu mehreren Jahrtausenden in die Vergangenheit verfolgen, indem wir ihre Genome rekonstruieren. Diese molekularen Relikte aus der Vorzeit erlauben uns zum Beispiel, bislang unbekannte Epidemien aufzudecken. Niemand wusste von ihrer Existenz, weil es keine schriftlichen Überlieferungen aus dieser Zeit gibt.
Ich finde es extrem spannend in die Vergangenheit zu schauen und Krankheitserreger zu untersuchen. Nicht nur wann sie entstanden sind, sondern auch woher sie gekommen sind – von welchem Tier sie beispielsweise auf den Menschen übertragen wurden – und wie sich die Erreger zu ihren aktuellen Vertretern entwickelt haben. Dabei interessieren mich besonders die entscheidenden genetischen Veränderungen, die zum Erfolg dieser Krankheitserreger beigetragen haben. Manche Erreger wie Pest, Tuberkulose und Salmonellen begleiten uns immerhin schon seit Tausenden von Jahren. Die sind extrem erfolgreich.
Die Arbeit ist sehr interdisziplinär: Man hat viel Kontakt mit Archäologen und Paläopathologen, die archäologisches Material auf Krankheiten untersuchen. Es geht auch darum, was unsere Ergebnisse auf einer geschichtlichen Ebene bedeuten. Also inwiefern könnte der Fund von Krankheitserregern in Gräber oder in Siedlungen einer bestimmten kulturellen Periode mit Veränderungen zusammenhängen, die Archäologen bereits beschrieben haben. Kamen zu der Zeit vielleicht neue Technologien auf, gab es Wanderungsbewegungen oder wurden neue Tierarten domestiziert? Diese interdisziplinäre Sicht auf biologische Daten ist ein wirklich spannender Aspekt meiner Arbeit.
Und dein zweites Forschungsfeld?
Hier untersuche ich, wie Bakterien ihr evolutionäres Potential nutzen, um neue Nischen im menschlichen Mikrobiom zu erschließen. Dieses Potential ist enorm: wir haben in und an uns Billionen an Bakterien welche über eine Milliarde an Mutationen generieren. Und das jeden Tag!
Dazu analysieren wir Proben von Patienten, die unter sogenannten krankenhausassoziierten Infektionen leiden. Wenn ein Patient mit einer bestimmten Krankheit ins Krankenhaus eingewiesen wird, kann es sein, dass er oder sie zusätzlich noch eine Infektion entwickelt. Bislang nimmt man an, dass Patienten sich in diesen Fällen mit Bakterien anstecken, die es vermehrt im Krankenhaus gibt.
Es gibt aber noch einen zweiten Infektionsweg, nämlich, dass der Patient die Bakterien schon mitgebracht hat und diese nun die Gunst der Stunde nutzen um den Patienten zu infizieren. Genau diesen Vorgang wollen wir erforschen.
Wie hängen diese beiden Bereiche zusammen?
In den Grundfragen sind diese beiden Forschungsfelder sehr ähnlich: Wie können sich Bakterien verändern und wie kann uns das krank machen. Um diese Frage zu beantworten, entschlüsseln wir DNA: Wir erzeugen im Hochdurchsatz große Mengen genetischer Daten und werten diese bioinformatisch aus, um Muster zu finden, die uns etwas über die Anpassung von Bakterien verraten. Letztlich ist der größte Unterschied die Zeitachse, entweder betrachten wir Jahrtausenden oder eben nur Wochen.
Natürlich ist die Probengewinnung sehr unterschiedlich. Entweder kultivieren wir Bakterien aus klinischen Proben oder wir bohren in uraltem archäologischen Material. Bei den alten Proben eignen sich Zähne am besten. Zähne sind durchblutet und können daher auch Krankheitserreger enthalten, die zum Todeszeitpunkt im Blut vorkamen. Nach dem Tod eines Individuums wirkt der Zahn wie ein Safe und schützt die Erreger davor, herausgewaschen zu werden. Mit ein bisschen Glück finden wir auch nach etlichen Jahrhunderten DNA-Schnipsel des Erregers in der Probe und können etwas über die Krankheit lernen.
Wie war Deine bisherige wissenschaftliche Laufbahn und wie bist Du im Bereich der evolutionären Pathogenomik gelandet?
Ich dachte eigentlich, dass ich nach meinem Studium Immunologe werde. Aber ich hatte auch Interesse an Bioinformatik. Meine Freundin war schwanger und hat noch in Leipzig studiert, als ich in Greifswald mein Studium abgeschlossen habe – deswegen bin ich erstmal nach Leipzig gezogen. Ich war thematisch damals sehr offen, aber als ich die Arbeitsgruppe von Aida Andrés am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie kennengelernt habe, wusste ich genau, was ich machen will. Das war eine fantastische Chance, um mehr über Bioinformatik, Populationsgenetik und Evolution zu lernen. Für meine Doktorarbeit habe ich dann untersucht, wie sich die Menschen an verschiedenen Umweltgegebenheiten auf dem Planeten angepasst haben.
Nach meiner Promotion, habe ich neue Herausforderungen gesucht. Im Jahr 2015 haben Forscher gezeigt, dass man Bakterien aus jahrtausendealter DNA rekonstruieren kann. Die Wissenschaftler konnten so nachweisen, dass Yersinia pestis, das Bakterium, dass die Pest ausgelöst hat, viel älter ist als gedacht. Aus 5000 Jahre alten Proben aus der Bronzezeit wurde eine Pest-Art extrahiert, die heute nicht mehr existiert. Ich fand es faszinierend, dass man solche Informationen jetzt in alten DNA-Daten entdecken konnte. Passenderweise wurde damals auch das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena eröffnet. In der Arbeitsgruppe von Johannes Krause habe ich die Chance bekommen, mich methodisch und analytisch mit DNA von alten Bakterien zu beschäftigen.
Nach zwei Jahren als Postdoc wollte ich mein Wissen in der Bakteriengenetik auf klinische Anwendungen erweitern. So bin ich zur Gruppe von Tami Liebermann ans MIT gekommen, wo wir Bakterien der Hautflora von Neurodermitispatienten analysiert haben. Mit meiner eigenen Gruppe möchte ich jetzt mein gesammeltes Wissen aus dieser Zeit kombinieren, um die Herkunft und Anpassung von Pathogenen zu erforschen.
Du bist jetzt wieder an einem Max-Planck-Institut. Freust Du Dich, wieder zurück zu sein?
Das Max-Planck-Universum ist einfach eine fantastische Möglichkeit um in Deutschland zu forschen. Ich bin sehr glücklich, wieder hier zu sein und ich freue mich darauf, das dritte Max-Planck-Institut kennenlernen zu dürfen. Erst als PhD, dann als Postdoc und jetzt tatsächlich als Gruppenleiter. Das hätte ich mir ursprünglich nicht träumen lassen.
Was fasziniert Dich an Forschung?
Das Unbekannte! Als computational biologist finde ich tatsächlich nichts spannender, als einen Datensatz zu durchforsten. Unsere Datensätze sind ja viel zu groß, um sie mit bloßem Auge zu erfassen. Meine Arbeit besteht darin, die Daten geschickt zusammenzufassen und zu visualisieren: Wenn man einen bestimmten Aspekt seiner Daten in einer Grafik sehen kann, versteht man auf einmal die Biologie dahinter!
Mich fasziniert es besonders, Dinge zu entdecken, die nie vorher jemand gesehen hat. Eine kleine Episode dazu: Wir haben in Jena eine Methode entwickelt mit der man tausende verschiedene Datensätzen gleichzeitig nach allen möglichen Erregern durchsuchen kann. Man drückt Enter und im nächsten Moment sieht man die Krankheitsbilder der letzten 10.000 Jahre vor sich – seit der Steinzeit. Das war einfach beeindruckend!
Die Fragen stellte Christian Denkhaus