„Es gibt noch viel zu tun“

Ein Interview anlässlich des internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft.

10. Februar 2023

Am 11. Februar ist der internationalen Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft. Wir haben diesen Tag zum Anlass genommen, um mit den MPIIB-Malariaforscherinnen Silvia Portugal und Paola Carrillo-Bustamante zu sprechen. Im Interview berichten die beiden von ihren Karrieren als Forscherinnen und diskutieren, wie Frauen auf ihrem Weg in der Wissenschaft besser unterstützt werden können. Sollten wir uns stärker auf Selbstempowerment durch Mentoring konzentrieren oder sichere Räume für Frauen auf Konferenzen schaffen? Und was können Männer für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Forschung tun? Antworten und Anregungen zur Diskussion finden sich im Interview.

Der diesjährige Women in Science Day steht unter dem Motto „bringing everyone forward for a sustainable and equitable development“. Warum ist es wichtig, bei der Malariaforschung alle an Bord zu haben?

Paola Carrillo-Bustamante: Je größer die Vielfalt, desto höher die kollektive Intelligenz, um ein Problem zu lösen. Hier in der ersten Welt gibt es so gut wie keine Malaria mehr – in der Forschung sind wir daher auf die Zusammenarbeit mit Menschen aus dem globalen Süden angewiesen. Interdisziplinarität ist nicht nur im Hinblick auf die Biologie wichtig, sondern auch bei vielen anderen Faktoren der Malariaforschung, vor allem wenn man – so wie ich – Infektionen vorhersagen und verhindern möchte. 

Silvia Portugal: Malaria ist ein komplexes System, daher ist jeder einzelne Beitrag wichtig. Unterschiedliche Köpfe mit unterschiedlichem Background bereichern die Forschung.

Es gibt mehr weibliche als männliche Absolvent*innen vor allem in den Biowissenschaften , aber Frauen sind unter den Professor*innen und Gruppenleiter*innen immer noch unterrepräsentiert. Was hat Euch geholfen, in der Wissenschaft zu bleiben?

Silvia Portugal: Glück! Aber auch eine mentale Einstellung: Das ist es, was ich tun möchte, und ich will es versuchen. Ich hatte großes Glück, und ich habe nicht das Gefühl, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt mehr für meine Karriere kämpfen musste, weil ich eine Frau bin. Ich wurde nie zurückgehalten, weil ich eine Frau bin, aber ich hatte auch nie das Gefühl, deswegen bevorzugt zu werden.

Vielleicht bin ich auch ein bisschen unaufmerksam, was das angeht. Ich habe zwar Kommentare gehört, aber ich neige dazu zu denken, dass das nur dumme Kommentare von dummen Leuten sind. Ich glaube nicht, dass ich in dieser Hinsicht sehr leicht zu verletzen bin.

Paola Carrillo-Bustamante: Bei mir ist es ähnlich. Ich bin entschlossen, mit der Forschung weiterzumachen. Obwohl ich sagen muss, dass ich noch nicht in einer Führungsposition bin. Ich bin noch dabei herauszufinden, ob ich es schaffe, gegen die Barrieren anzukämpfen. Meine Mentor*innen haben immer entscheidend dazu beigetragen, dass ich nicht aufgebe.

Ich habe Elektrotechnik studiert. Ein Grund, warum ich das Fach verlassen habe, war das Umfeld. Es gab von Frauen geleitete Workshops für Studentinnen, in denen die Botschaft vermittelt wurde, dass man so männlich wie möglich sein muss, wenn man Erfolg haben will – das wurde offen diskutiert. So wollte ich nicht sein.

Als ich in die Biologie gewechselt bin, war das anders. Hier gibt es sichtbare Vorbilder und Menschen, die sich nicht um das Geschlecht einer Person scheren. Für sie zählt nur der Intellekt und es ist das Potenzial einer Forscherin, das sie fördern. Da ich mir sehr bewusst bin, was es bedeutet, eine Frau aus dem globalen Süden in einem von Männern dominierten Forschungsbereich zu sein, war das für mich sehr erfrischend. Danach habe ich seitdem immer gesucht.

Was kann Eurer Meinung nach gegen diese Kluft zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen in der Forschung getan werden?

Silvia Portugal: Ich denke, es gibt noch viel zu tun, um die Lücke zwischen dem Anteil von Frauen an Graduiertenschulen und in Führungspositionen zu schließen. Und es muss auch etwas getan werden, um den Männern dabei zu helfen. Denn diese Kluft hängt zu einem großen Teil mit der Familie zusammen, oder? Sobald wir uns entscheiden, Kinder zu bekommen, fangen die meisten Probleme in der Karriere an.

Die klassische Lösung besteht darin, Frauen zusätzliche Jahre für die Beantragung von Stipendien zu gewähren oder ihnen eine Auszeit zu geben. Doch damit wird die gesamte Betreuungsarbeit weiterhin den Frauen zugeschrieben. Was wir wahrscheinlich brauchen, ist eine gleichberechtigtere Lösung für die Elternschaft, bei der wir bereit sind, auch den Männern einen Teil der Arbeit abzugeben. Männer sollten auch die Möglichkeit erhalten, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. In der Wissenschaft fehlen diese Möglichkeiten oft noch.

Paola Carrillo-Bustamante: Dem kann ich nur zustimmen. Als ich Mutter wurde, kam die größte Hürde nicht von außen, sondern von innen. Ich war weniger produktiv – obwohl ich von meinem Partner und meinem sozialen Umfeld unterstützt wurde. Es geht um die Rollen, die in unserem Unterbewusstsein verankert sind und die unsere gesamte Gesellschaft durchdringen. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Kinderbetreuung immer zuerst mich anruft, wenn etwas schiefläuft, und nicht meinen Partner.

Silvia Portugal: Ganz genau.

Paola Carrillo-Bustamante: Vor kurzem gab es einen Aufruf der Organisation "Mothers in Science", bei der ich ehrenamtlich tätig bin. Die Forschungsförderungsorganisationen sollen Maßnahmen ergreifen, um die Forschungsförderung für Eltern zugänglicher zu machen. Und dabei geht es nicht nur um die Verlängerung der Elternzeit.

Während Eurer wissenschaftlichen Laufbahn wurdet Ihr beide sowohl von Männern als auch von Frauen betreut. Glaubt Ihr, dass Ihr von den jeweiligen Perspektiven profitiert habt?

Silvia Portugal: Es gab Unterschiede in der Betreuung. Aber ich hatte nur zwei Vorgesetzte, einen Mann und eine Frau, und ich bin mir nicht sicher, ob die Unterschiede zwischen den beiden unbedingt auf das Geschlecht zurückzuführen sind.

Paola Carrillo-Bustamante: Ich sehe auch keine eindeutigen Unterschiede in Bezug auf das Geschlecht. Während meiner Doktorarbeit wurde ich von einem Mann und einer Frau betreut, und sie hatten einen unterschiedlichen Betreuungsstil. Es war ein bisschen witzig, weil es sich manchmal wie in einer Familie anfühlte – Mutter, Vater und das Kind. Aber beide waren sich einig, wann wir über mein Privatleben sprechen und wann sie mich im fachlichen Teil meiner Doktorarbeit unterstützen wollten. Es war sehr ganzheitlich.

Meine derzeitige Betreuerin, Elena Levashina [Leiterin der Forschungsgruppe Vektorbiologie am MPIIB], ist sich der Probleme von Frauen in der Wissenschaft sehr bewusst und gibt mir oft Hinweise auf Programme nur für Frauen, von denen ich ihrer Meinung nach profitieren könnte. In der Phase, in der ich mich gerade befinde, ist das sehr hilfreich.

Das Netzwerk 'Women in Malaria' versucht, Malariaforscherinnen zu vernetzen. Es gibt vergleichbare Netzwerke in anderen Forschungsbereichen, aber für uns schien dieses Netzwerk etwas Besonderes zu sein. Ist die Geschlechterbalance in der Malariaforschung anders, als in anderen Forschungsfeldern?

Paola Carrillo-Bustamante: Ich weiß nicht, ob mehr Frauen in der Malariaforschung tätig sind. In der Tat sind aber viele der Malariaforscher*innen die ich kenne, zufällig Frauen.

Silvia Portugal: Ich weiß nicht viel über die anderen Bereiche, aber ich weiß, dass "Women in Malaria" aus dem größeren Netzwerk "Women in Parasitology" hervorgegangen ist. Ich denke, wir haben das Glück, dass einige tolle Frauen die "Women in Malaria" ins Leben gerufen haben. Aber ich denke auch, dass man vorsichtig sein sollte, sich zu sehr zu isolieren. Wir sollten keinen exklusiven Frauenclub gründen, um den Männerclub zu ersetzen, mit dem wir es seit Jahrhunderten zu tun haben. Ich finde die Idee gut, aber sie ist mit Vorsicht zu genießen – wir wollen nicht die Fehler des Männerclubs wiederholen.

Könntest Du näher erläutern, was Du mit mehr Offenheit meinst? Eine bestimmte Aktion oder einen bestimmten Ansatz?

Silvia Portugal: Bei der Konferenz 'Women in Malaria' im Jahr 2021 konnte ich zum Beispiel nicht verstehen, warum Männer ihre Arbeiten nicht präsentieren durften. Ich sehe keinen Sinn in diesen Beschränkungen. Männer daran zu hindern, ihre Arbeiten zu präsentieren, ähnelt dem, was wir über den Männerclub beklagt haben.

Paola Carrillo-Bustamante: Ich glaube, die Gespräche auf der Konferenz waren offener und weniger konfrontativ, weniger aggressiv. Vielleicht lag es daran, dass es eine Online-Konferenz war und es einfacher ist, eine Frage zu tippen anstatt sie im Publikum zu stellen. Es könnte aber auch daran liegen, dass nur Frauen anwesend waren. Ich glaube, viele Frauen fühlen sich tendenziell mehr eingeschüchtert, wenn mehr Männer auf einer Konferenz sind.

Silvia Portugal: Aber das kann man doch nicht wollen, oder? Dass nur Frauen anwesend sein müssen, damit man sich melden kann.

Paola Carrillo-Bustamante: Nein, das können wir nicht wollen, absolut nicht. Aber ich denke, dass es gerade jetzt notwendig ist, Safe Spaces zu haben. Damit wir diese Art von Gesprächen ermöglichen, denn es gibt immer noch ein klares Problem. Ich denke es ist ein notwendiger Schritt, Gruppen auf bestimmte Zielgruppen zu beschränken, um die Strukturen zu verändern.

Silvia Portugal: Ich denke, es geht darum, darauf aufmerksam zu machen. Ich habe an einer großen Konferenz teilgenommen, und am Ende des ersten Tages hat die Organisatorin einer "Power-Stunde" für Frauen gezeigt, dass mehr als 80 Prozent der Fragen an diesem Tag von Männern gestellt worden waren. Sie wollte damit nur ermöglichen, dass die Frauen im Raum es in Betracht ziehen...

Paola Carrillo-Bustamante: …sich in die erste Reihe zu setzen und Fragen zu stellen.

Silvia Portugal: Oder den Arm ganz deutlich zu heben und sich irgendwie bemerkbar zu machen. Und im weiteren Verlauf der Konferenz haben wir die 50 Prozent erreicht. Niemand hindert einen daran, in der ersten Reihe zu sitzen oder den Arm zu heben.

Richtig, aber es könnte wichtig sein, diese Zielgruppe erst einmal zu ermutigen und zu stärken.

Paola Carrillo-Bustamante: Es gab diesen Präsentationsworkshop nur für Frauen am MPIIB. Für uns alle gab es ein gemeinsames Thema: wie sehr es uns bei einem Vortrag stresst, die Hand zu heben und eine Frage zu stellen. Als wir das mit den männlichen Postdocs besprachen, waren sie sehr überrascht. Sie hatten keine Ahnung, dass wir dieses Problem haben und meinten, dass sie nie zweimal darüber nachdenken würden, eine Frage zu stellen.

Das mag für viele Personen ein Problem sein, aber bei einem Geschlecht ist es überrepräsentiert. Warum, weiß ich nicht, bin jedoch überzeugt, dass wir Safe Spaces brauchen. Wir brauchen Ermutigung, wir müssen alle gleich behandeln – und für die Menschen, die sich nicht sicher genug fühlen, um eine Frage zu stellen, muss es diese Räume geben.

Silvia Portugal: Sie helfen auf jeden Fall.

Wir haben viel über Eure Sichtweise gesprochen die Sichtweise von Frauen. Was würdet Ihr einem männlichen Kollegen raten, um eine gerechtere Entwicklung in der Forschung zu erreichen?

Paola Carrillo-Bustamante: Allgemein hilft es, sich in die Lage der anderen Person zu versetzen. Denn unsere Erfahrungen können völlig unterschiedlich sein. Das gilt auch über die Geschlechtsidentität hinaus. Und ganz allgemein sollte man versuchen, bei der Arbeit kooperativ und unterstützend zu sein.

Silvia Portugal: Ich denke, es geht einfach darum, fair und freundlich zu sein. Stellt einfach die am besten geeignete Person ein und behandelt sie fair.

Das Interview führten Juliane Lippmann und Christian Denkhaus

 

Silvia Portugal

Silvia Portugal

Silvia Portugal leitet die Forschungsgruppe Biologie der Malariaparasiten. Hier untersucht sie, wie Malariaparasiten die Trockenzeit im Menschen überleben, ohne Malariasymptome bei ihnen hervorzurufen. Sie forscht seit über 15 Jahren zu Malaria und hat während ihrer Karriere in Portugal, Mali und den USA gearbeitet. Im Jahr 2020 gründete Silvia Portugal ihre Lise-Meitner-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Für ihre Forschung wurde sie kürzlich mit der Bailey K. Ashford Medal der Amercian Society of Tropical Medicine & Hygiene ausgezeichnet.
Paola Carrillo-Bustamante

Paola Carrillo-Bustamante

Paola Carrillo-Bustamante ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Vektorbiologie des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie. Hier leitet sie die Untereinheit Theoretische Vektorbiologie. Bereits während ihres Elektrotechnikstudiums am Institut am KIT begann sie mit biologischen Systemen zu arbeiten. Ihre Forschung konzentriert sich nun darauf, welche Rolle Physiologie, Stoffwechsels und Umwelt von Moskitos für den Übertragungserfolg von Malaria und Dengue spielen. Im Jahr 2022 war Paola Carrillo-Bustamante Teil der Female Science Talents der Falling Walls Foundation.
Zur Redakteursansicht