Gekommen, um zu bleiben: Wie Darmbakterien dem Immunsystem während einer Infektion widerstehen
Das Iatsenko Lab hat einen Mechanismus hinter der Widerstandsfähigkeit von Bakterien des Mikrobioms aufgedeckt.
Auf bakterielle Darminfektionen hat das Immunsystem eine Antwort: Die sogenannten antimikrobiellen Peptide, die Bakterien und andere Mikroorganismen effizient abtöten. Doch einige Bakterien können dieser Herausforderung widerstehen, wie zum Beispiel die Mikrobiota des Darms – eine Gemeinschaft von Bakterien, die oft friedlich mit ihrem Wirt koexistieren und die Verdauung und Nährstoffaufnahme unterstützen. Doch warum überleben diese Bakterien die Immunantwort, während schädliche Bakterien eliminiert werden? Die Forschungsgruppe von Igor Iatsenko am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie hat jetzt den Mechanismus hinter dieser Widerstandsfähigkeit aufgedeckt. Dazu nutzte das Team die Fruchtfliege Drosophila melanogaster und ein Darmbakterium als Modellsystem für die Interaktion zwischen Wirt und Mikrobe im Darm. So konnten die Forschenden zeigen, dass Veränderungen in der bakteriellen Zellwand der Schlüssel zur antimikrobiellen Resistenz sind – eine Eigenschaft, die üblicherweise mit schädlichen Bakterien in Verbindung gebracht wird. Diese Ergebnisse werfen ein Licht auf die gemeinsamen molekularen Grundlagen von „guten“ Bakterien des Mikrobioms und „schlechten“ bakteriellen Erregern bei der Interaktion mit ihrem Wirt. Die Ergebnisse des Teams wurden jetzt in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Das Immunsystem verfügt über zahlreiche Instrumente, um schädliche Bakterien loszuwerden. Einige sind sehr spezifisch, wie zum Beispiel Antikörper, während andere eher grob zu Werk gehen. Zu den letzteren gehören antimikrobielle Peptide, die Bakterien aller Art beseitigen, indem sie ihre Zellmembranen zerstören. Bakterien anzugreifen, bringt jedoch auch Probleme mit sich. Wie die meisten anderen mehrzelligen Organismen ist auch der Mensch von unzähligen Mikroorganismen bewohnt, dem sogenannten Mikrobiom. Diese Bakterien sind nicht schädlich, im Gegenteil: sie helfen bei der Verdauung und können sogar Infektionen verhindern. Glücklicherweise beseitigt unser Immunsystem nicht alle Bakterien. Das Mikrobiom überlebt die meisten Infektionen und seine Bakterien werden von antimikrobiellen Peptiden nicht so stark beeinträchtigt wie schädliche Bakterien.
Der Fruchtfliegendarm als Modellsystem
In ihrer vor kurzem veröffentlichten Studie hat das Iatsenko Lab am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie den Mechanismus hinter dieser Widerstandsfähigkeit aufgedeckt. Das Team um Gruppenleiter Igor Iatsenko wollte herausfinden, warum einige Bakterien des Mikrobioms (auch Mikrobiota genannt) während einer Infektion resistent gegen antimikrobielle Peptide sind. Um das Zusammenspiel zwischen dem Wirt, seinem Mikrobiom und schädlichen Bakterien zu untersuchen, nutzte das Team ein Modellsystem: die Fruchtfliege Drosophila melanogaster. Der Darm der Fliege ist einfacher aufgebaut als der des Menschen, im Prinzip funktioniert er aber genauso – vor allem wird er auch von mehreren Arten von Mikrobiota bewohnt.
Als die Doktorandin Aranzazu Arias-Rojas, Erstautorin der Studie, sich dieser Frage im Labor widmete, suchte sie zunächst nach einem Bakterium, das den antimikrobiellen Peptiden gut widerstehen kann. Arias-Rojas infizierte in ersten Experimenten mehrere hundert Fruchtfliegen unter verschiedenen Bedingungen. So wollte sie herausfinden, welche Bakterien nach einer Infektion in den Fliegen übrigblieben. Das Darmbakterium Lactiplantibacillus plantarum (kurz: L. plantarum) war ein Treffer. Es war auch nach einer Infektion in den meisten Fliegen vorhanden, was darauf hindeutet, dass es von den antimikrobiellen Peptiden nicht beeinträchtigt wurde.
Mit „springenden Genen“ nach Resilienzfaktoren suchen
Nach diesem ersten Schritt wollten die Forschenden die für die Resistenz verantwortlichen Gene finden. Um diese Gene zu identifizieren, wurde ein Transposon-Screening durchgeführt. Transposons werden auch „springende Gene“ genannt, weil sie ihre Position im Genom zufällig verändern können. In einem Transposon-Screen wird diese Eigenschaft genutzt, um Gene auszuschalten: Wenn ein Transposon in ein Bakterium eingeführt wird, platziert es sich zufällig in der DNA und blockiert das Gen, dass an dieser Stelle liegt.
So erzeugten die Forschenden etwa 5000 Transposon-Mutanten von L. plantarum. Um herauszufinden, welche dieser mutierten Bakterien nicht mehr resistent waren, kultivierten die Forschenden sie mit dem Antibiotikum Polymyxin, dass eine ähnliche Wirkweise wie antimikrobielle Peptide hat. Bakterien, die in Gegenwart von Polymyxin nicht wuchsen, hatten ihre Resistenz gegen antimikrobielle Peptide aufgrund eines durch das Transposon deaktivierten Gens verloren. Nun konnten die Forschenden prüfen, wo das Transposon eingefügt war und so die deaktivierten Gene identifizieren, die für die Resistenz verantwortlich waren. Insgesamt fand das Team drei Gene, deren Blockade die Resistenz beeinträchtigten, darunter auch ein Gen für Zellwandmodifikationen, das dlt-Operon.
„Schlechte“ und „gute“ Bakterien – ähnlicher als gedacht
Der Mechanismus, der von diesem Gen gesteuert wird, war bereits bekannt – jedoch nicht in Mikrobiota, sondern in schädlichen Bakterien, die Krankheiten auslösen können. Zellwandveränderungen machen schädliche Bakterien gefährlicher, indem sie ihre Resistenz gegen antimikrobielle Peptide erhöhen. „Wir hatten nicht erwartet, diesen Resistenzmechanismus in Mikrobiota zu finden. Aber es machte Sinn, wenn man bedenkt, dass sich ‚schlechte‘ und ‚gute‘ Bakterien gar nicht so unähnlich sind“, erklärt die Doktorandin Arias-Rojas. Diese gemeinsamen molekularen Mechanismen werfen Fragen auf: Was macht ein Bakterium schädlich, und können „gute“ Mikrobiota in ihrem Wirt auch auf ein schädliches Verhalten umschalten? Nach ihrer Arbeit mit Fruchtfliegen und L. plantarum gehen die Forschenden diesen Fragen in aktuellen Projekten nach.
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen schädlichen Bakterien und Mikrobiota spielen auch in der Medizin eine Rolle. Wissenschaftler*innen prüfen bereits die Verwendung von antimikrobiellen Peptiden als Therapeutika. Antibiotika – die heutige Standardbehandlung gegen bakterielle Infektionen – sind zwar sehr effizient bei der Beseitigung aller Bakterien. Allerdings treten dabei häufig Nebenwirkungen wie Verdauungsprobleme auf, vor allem wenn die Behandlung über einen langen Zeitraum durchgeführt wird. Denn die Antibiotika richten sich auch gegen „gute“ Bakterien des Mikrobioms. Wie die Studie von Igor Iatsenko zeigt, haben sich die Mikrobiota aber an antimikrobielle Peptide angepasst, um in ihrem Wirt zu überleben. So könnten antimikrobielle Peptide möglicherweise in Zukunft eingesetzt werden, um schädlichen Bakterien auszuschalten, während das Mikrobiom verschont bleibt.