Linker-Histone H1.2 und H1.4 steuern die Entwicklung von Neutrophilen

Forscher*innen entdecken neue Rolle der DNA-Verpacker für Immunzellentwicklung

29. Mai 2020
Gabriel Sollberger hat entdeckt, dass die Linker-Histone H1.2 und H1.4 eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Gruppe weißer Blutzellen, sogenannten Neutrophilen, spielen. Linker-Histone sind eigentlich für die Verpackung von DNA bekannt – durch eine breit angelegte Screening-Studie haben die Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin herausgefunden, dass die Proteine auch die Weichen für die Entwicklung von Neutrophilen stellen. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift eLife veröffentlicht.

Schon eine kleine Wunde genügt: Ist unser Hautschutz durchbrochen, können Bakterien und andere Erreger in unseren Körper eindringen und dort Entzündungen auslösen. Neutrophile zählen zu den wichtigsten Zelltypen für eine schnelle Immunantwort bei einem solchen Angriff. Diese mobilen Zellen zirkulieren im Blut und können bei einer Entzündung ins Gewebe einwandern, um dort eindringende Erreger aufzuspüren. Haben sie einen Eindringling entdeckt, steht den Neutrophilen ein ganzes Arsenal an Abwehrmechanismen zur Verfügung: Sie können Bakterien „aufessen“, giftige Stoffe abgeben oder sogar ihre DNA wie Netze auswerfen, um Erreger einzufangen.

Um ihre Spezialfähigkeiten zu entwickeln, durchlaufen Neutrophile einen Differenzierungsprozess, der Granulopoese genannt wird. Während der Granulopoese entscheidet sich, welcher Granulozyt, eine besondere Form von Immunzellen, sich aus einer Vorläuferzelle entwickelt. Wie diese Entscheidung zustande kommt und welche Faktoren für die Entwicklung zu Neutrophilen eine Rolle spielen, ist bislang noch nicht komplett bekannt. Mit einer breit angelegten Studie ist die Arbeitsgruppe von Arturo Zychlinsky am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin dieser Frage auf den Grund gegangen. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt in der Fachzeitschrift eLlife publiziert.

20.000 Gene – 20.000 potentielle Treffer

Basis der Studie war ein menschlicher Zelltyp, der im Labor gezüchtet werden kann und sich unter den richtigen Bedingungen zu einer Zelle entwickelt, die einem Neutrophilen stark ähnelt. In diesem Zelltyp haben die Forscher*innen mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 jedes Gen einzeln ausgeschaltet – da es sich um menschliche Zellen handelt, waren das 20.000 Gene. So wollten sie herausfinden, welche Gene bei der Differenzierung und Funktion der Neutrophilen eine wichtige Rolle spielen. Entwickelten sich die Zellen im Versuch nicht weiter zum Neutrophilen, konnten die Wissenschaftler*innen nachvollziehen, welches Gen ausgeschaltet war: dieses Gen war dann möglicherweise in den Differenzierungsprozess involviert.

„Oft nicht das, was man erwartet“

Die anschließende Analyse der Versuche hat die Forscher*innen überrascht. „Wir dachten zuerst, das Ergebnis wäre nicht spezifisch. Unser Top Treffer war ein Gen für das Linker-Histon H1.4, ein Protein, das noch nie zuvor mit der Entwicklung von Neutrophilen in Verbindung gebracht wurde.“ so Gabriel Sollberger, Erstautor der Studie. „Wenn man eine so breite Analyse macht, kommt oft nicht das heraus, was man erwartet. Trotzdem waren wir erstaunt, etwas ganz Neues zu finden.“

Neben dem Linker-Histon H1.4 war auch das Linker Histon H1.2 unter den besten Treffern. Histone sind Proteine, die dazu dienen, die DNA zu verpacken. Mehr als zwei Meter DNA müssen in Zellen von nur einigen Mikrometern Durchmesser untergebracht werden. Um das zu bewerkstelligen, kann sich die DNA wie ein Bindfaden um die Histon-Proteine wickeln. Linker-Histone liegen zwischen den Histon-DNA-Paketen – sie helfen dabei, diese Knäuel noch enger zusammenzupacken.

Weichenstellung bei der Entwicklung

Dass die Linker-Histone H1.2 und H1.4 auch die Entwicklung von Neutrophilen steuern, war zuvor nicht bekannt. Fehlt jeweils eins der beiden Proteine, entwickeln sich keine Neutrophilen aus den Vorläuferzellen in der Zellkultur. Grund dafür scheint die Steuerung der Transkriptionsfaktoren GATA-1 und GATA-2 zu sein, die von den Linker-Histonen unterdrückt werden. Ist viel GATA-2 vorhanden, schlagen die Zellen während der Granulopoese einen anderen Weg ein und entwickeln sich in die Richtung von Eosinophilen. Dieser Zelltyp ist zwar mit Neutrophilen eng verwandt, erfüllt aber andere Aufgaben, wie zum Beispiel die Abwehr von Parasiten.

Neue Forschungsfelder

Die Arbeit des Teams um Arturo Zychlinsky ermöglicht es, die Differenzierung von Neutrophilen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten – möglicherweise lassen sich Störungen in der Granulopoese auf Defekte der Linker-Histone zurückführen, die zuvor unbemerkt geblieben sind. Die Hämatopoese ist ein Teil der Blutzellbildung, durch die alle Immunzellen entstehen. Auch hier könnten Linker-Histone eine bislang unbekannte Steuerungsfunktion einnehmen. Darüber hinaus bleibt offen, durch welchen molekularen Prozess die Linker-Histone die Transkriptionsfaktoren GATA-1 und -2 unterdrücken. Diese Fragen werden in zukünftigen Studien weiterverfolgt.

 

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